Urstromtal im Berliner Südosten

DAS URSTROMTAL IM BERLINER SÜDOSTEN

Eine kleine Zeit- und Landschaftsreise

Die Eiszeit modellierte die Silhouette unseres Bezirks
Die Eisvorstöße der Kaltzeiten prägen unseren Untergrund, die letzte Eiszeit formte Berlin. Vor 115.000 Jahren begann die Weichsel-Eiszeit mit einer globalen Abkühlung. Mit dem Vorrücken der nordischen Gletscher bis 45 Kilometer südlich von Berlin lagerte sich unter dem Eis eine neue Grundmoräne ab. Diese blieb als Decke aus Sand, Kies, Lehm, Ton, Kalk und Steinen nach Abschmelzen der Gletscher zurück. In den folgenden Jahrtausenden führte eine langsame Erwärmung zum vollständigen Rückzug der Gletscher nach Norden, stets unterbrochen von Kälteeinbrüchen. Durch abfließendes Schmelzwasser erodierte im Berliner Raum die alte Grundmoräne. Das Berliner Urstromtal entstand. Es ist Teil des Warschau-Berliner-Urstromtals und trennt die nördliche Barnim-Platte von der südlich gelegenen Teltower. Durch diese eiszeitliche Schmelzwasserrinne fließen Spree und Dahme. Im Bereich der Ortsteile Alt-Treptow und Plänterwald zeigen sich die südlichen Hangkanten des Urstromtals oberhalb der Karl-Marx-Straße markant an den Neuköllner Rollbergen, nördlich zu Friedrichshain und Lichtenberg oberhalb der Frankfurter Allee.

Auch während der Eisbedeckung schmolz Eis. Das Schmelzwasser grub unterhalb der Eisschicht tiefe Rinnen in die Grundmoräne, welche heute als Täler mit Fließgewässern, wie das Wuhletal, eindrucksvoll die Landschaft prägen. Zahlreiche Senken und Löcher sind Relikte von Gletschern losgelöster Eisblöcke. Beim Rückzug der Gletscher blieben diese Toteiskörper mit Eis verfüllt und versandeten dadurch nicht. Heute stellen sie als Flussauen, Seen oder Moore ökologisch wertvolle Lebensräume und Naturschätze im Berliner Südosten dar. Die bis zu 20 Meter in die Tiefe aufgebauten Sande des Urstromtals und der Nebentäler sind heute unser Grundwasserspeicher für die Selbstversorgung Berlins mit Trinkwasser.

Vor rund 11 600 Jahren endete die Weichsel-Eiszeit. Nach dem Rückzug der Gletscher entwickelte sich in der trockenen Kälte vorerst eine karge, steppenhafte Vegetation. Dadurch konnte der Westwind ungehindert die Talsande zu imposanten Binnendünen wie zwischen Rahnsdorf, Wilhelmshagen und Woltersdorf verwehen. Die Müggelberge wiederum bilden inselartige Zeugnisse älterer Endmoränenzüge. Mit zunehmender Erwärmung bildeten sich auf den Tal- und Hochsanden des Urstromtals Eichen- und Kiefernwälder aus. In den grundwassernahen Niederungsbereichen mit höheren Talsandinseln entwickelten sich Auenwälder.

Der Naturraum wurde nachhaltig durch den Menschen überprägt
Die slawische Besiedelung im Berliner Südosten erfolgte im 8. Jahrhundert. Der Niederungsbereich war ideal für die Fischerei, nährstoffreiche Böden wurden für den Ackerbau kultiviert, Wälder gelichtet. Das Urstromtal stellte erhebliche Verkehrshindernisse dar, daher bündelten sich die Handelswege an Engstellen. Flussverlegungen, Dämme, Mühlenstau und die Trockenlegung von Mooren veränderten bereits im Mittelalter stark den Naturraum durch veränderte Grundwasserverhältnisse. Durch die jahrhundertelange unkontrollierte Beweidung der gemeinen Wiesen und Wälder, der Allmende, entstanden auf dem sandigen Boden halboffene Heidelandschaften, auf denen sich durch Sandverwehungen Dünen auftürmten. Das Vieh wurde in den Wald getrieben, um es mit Jungtrieben, Rinde und Eicheln zu mästen.
Durch die Waldweide kam schwer Aufwuchs auf, durch den Verbiss lichteten sich die Wälder. Noch heute sind einzelne hundertjährige Huteeichen, wie im Plänterwald, ein Relikt und Zeugnis dieser Weideform, der Hutung. »Hute« leitet sich ab von (Vieh) »hüten«. Bau- und Brennholzgewinnung, intensive Nutzungen wie Waldweide und Streuwald forderten ab dem 18. Jahrhundert eine geregelte Forstwirtschaft. Gestellwege unterteilten den Wald nun in Jagen oder Schläge, Kiefernplantagen entstanden. Holzgewinnung und vermeintlich hohe Pachterträge für Ackerland führten im 19. Jahrhundert zu großflächigen Rodungen der Cöllnischen Heide, der ehemals ausgedehnten Wald- und Heidelandschaft südlich der Spree, vom Landwehrgraben bis zur Dahme reichend.

Während der Industrialisierung erfolgte der Ausbau des Wegenetzes und der Bau von Bahnlinien wie der Görlitzer Bahn. Die Begra-digung und Verbauung von Ufern, der Kanalbau sowie die Trinkwasserförderung durch die Wasserwerke senkte den Grundwasserpegel. In Späthsfelde, auf den einstigen Rudower Wiesen, verloren sich teilweise die idealen Bedingungen für die Baumschule Späth. Siedlungen und Gärten entstanden. Zunehmend wurden einst sumpfige Niederungsbereiche im Urstromtal überformt. Für die Holzgewinnung der wachsenden Stadt Berlin, Wohn- und Gewerbeflächen, Infrastruktur, das Flugfeld Johannisthal wurde erneut großflächig Wald gerodet.

Die einstige zusammenhängende Cöllnische Heide existiert heute nur noch rudimentär mit den Wäldern Köllnische Heide und Königsheide, Relikten des »alten« Treptower Parks und Inseln mit hundertjährigen Eichen wie dem Schlesischem Busch. »Busch« verweist auf die einstige Nutzform als Niederwald, einer waldartigen Kulturform von Sträuchern und Bäumen, die durch »Stockausschlag« niedrig gehalten werden. Weitere unzählige Straßen- und Ortsbezeichnungen sind heute Zeugnis der ehemaligen Landschaft, ihrer Besiedlung und deren historischen Kulturformen.

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